Drei Siedlungen
für «die schaffende Intelligenz» in Ost-Berlin

Das erklärte Ziel, Kulturschaffende und Wissenschaftler für die neugegründete DDR zu gewinnen, wurde u.a. durch den Beschluss der Regierung manifestiert, in Ost-Berlin drei «Siedlungen für die schaffende Intelligenz» zu errichten. Neben der Erich-Weinert-Siedlung in Pankow-Schönholz sind dies die — unter Verwendungen derselben Haustypen errichteten — Wohnsiedlungen in Pankow-Niederschönhausen sowie in Köpenick an der Regattastraße. Hier wohnten anfangs zurückgekehrte antifaschistische Intellektuelle aus den verschiedenen Exilländern, Verfolgte und Widerstandskämpfer gegen das Naziregime, die in Deutschland überlebt hatten, sowie Wissenschaftler und Künstler aus der «inneren Emigration». Obgleich sie aus ganz unterschiedlichen politischen Milieus stammten (allein die Emigrationserfahrungen in der Sowjetunion unterschieden sich wesentlich von denen in den westlichen Exilländern), sollten sie gemeinsam die neue «schaffende Intelligenz» — als der neben Arbeiterklasse und der Bauerschaft der dritten Säule der antifaschistisch-demokratischen Ordnung (das Staatswappen der DDR enthielt Hammer, Zirkel und Ährenkranz) — repräsentieren.
Das «Bündnis aller Werktätigen» war auch ein wichtiges Bildmotiv für Max Lingner. Bereits während seiner Zeit in Frankreich zur Zeit der Volksfront gestaltete er den symbolischen Reigen von Arbeitern, Bauern und Intellektuellen. Diese Figurengruppe übernahm er auch bei seinem ersten Entwurf für das Wandbild am Berliner Haus der Ministerien, dem Gründungsort der DDR, dem heutigen Bundesministerium der Finanzen (siehe Bild oben). Bei dem 1953 der Öffentlichkeit übergebenen Wandbild ist es allerdings nicht mehr der Intellektuelle, der den Arbeiter und den Bauern zum Tanz zusammenführt, sondern der Arbeiter. 

Die Idee einer Wohnsiedlung für Kulturschaffende (als einer spezifischen Berufsgruppe) entsprang einerseits den Reformbewegungen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, in denen sich Menschen zusammenfanden, gemeinsam neue Wohn- und Lebensmodelle zu erproben. Andererseits hatte sich insbesondere in der Sowjetunion die Praxis herausgebildet, über Genossenschaften, Institutionen und Verbände, Wohnraum zu schaffen und die je eigenen Mitglieder versorgen. So entstand seit 1923 die von berühmten Architekten der Zeit entworfene Moskauer Siedlung Sokol (Falke) auf genossenschaftlicher Basis und bot Wohnraum für Angestellte von Ministerien, für Ökonomen, Künstler, Lehrer und Ingenieure. Das von Moisej Ginzburg entworfene Kommunehaus am Moskauer Gartenring, ein Meisterwerk des sowjetischen Konstruktivismus, entstand 1928–1930 im Auftrag des Volkskommissariats der Finanzen (Narkomfin) der RSFSR. Individuelle Wohnungen verschiedener Größe wurden hier mit einer Vielzahl von Gemeinschaftseinrichtungen kombiniert. 

Die Anfang der 1950er Jahre errichteten Intelligenzsiedlungen in Ost-Berlin, wie auch in einigen anderen Städten der DDR, waren Einfamilienhaus-Siedlungen, die einer weltanschaulich verbundenen Bewohnerschaft in einer gemäßigt-modernen Architektur angenehme Wohnbedingungen schufen. Hier waren keine avantgardistischen Wohn- und Lebensexperimente intendiert. Die Qualität bei der Entwicklung der vier Haustypen, bei der Freiraumplanung und der Möblierung atmen aber (nach der NS-Zeit) wieder und (angesichts der in der DDR 1952 kulminierenden antimodernistischen Formalismus-Kampagne) noch den Geist einer gemäßigten Moderne. Sie hoben sich bewusst von den gründerzeitlichen Villen und vom großbürgerlichen Einfamilienhausbau der Weimarer Republik in der Nachbarschaft ab. Funktional und komfortabel gestaltet, vermittelten sie in der Nachkriegszeit Hoffnung auf einen bescheidenen und stetig für alle wachsenden Lebensstandard. Insofern waren die Siedlungen und ihre Bewohnerschaft auch kulturelle Trendsetter.

Die Erstbewohner der Erich-Weinert-Siedlung
Die Erich-Weinert-Siedlung nimmt in ihrer Gestaltung durch den Architekten Hanns Hopp (1890–1971) die östlich und nördlich der Siedlung bestehende Struktur von Einfamilienhäusern der 1920er und 1930er Jahre auf. Bauherr der 22 Einzelhäuser war die Heimstätte Berlin. An den Eckgrundstücken wurden die Atelierbauten für Theo Balden, Ruthild Hahne, Max Lingner (zur Heinrich-Mann-Straße), Fritz Duda, Herbert Sandberg und Heinrich Ehmsen (zur Homeyerstraße) errichtet, dazwischen die Typenbauten für Erich Weinert, KuBa (Kurt Barthels), Eduard Winter, Walter Neye, Willi Bredel, Hans Robert Bortfeldt, Henryk Keisch, Jeanne und Kurt Stern, Irmgard und Heinz Litten, Friedrich Kühne, Karl Hagemann, Heinz Kamnitzer, Bruno Kaiser, Klaus Wittkugel (ursprünglich für Michael Tschesno-Hell), Walther Victor sowie Willi Felix. Reinhold Lingner gestaltete die Gärten für Duda, Sandberg, Ehmsen und Max Lingner.

Erinnerung an Erich Weinert
Nach seinem Tod wurde an der Heinrich-Mann-/Ecke Hermann-Hesse-Straße eine Gedenkstätte zu Ehren des Schriftstellers Erich Weinert (1890–1953) errichtet. Seitdem wurde auch die Siedlung nach ihm benannt. Auf der linken Seite einer konkaven Wand befinden sich Fahnenmasten, auf der rechten Seite eine Tafel mit der Inschrift «In dieser Siedlung wohnte und arbeitete der Dichter und Revolutionär in seinen letzten Jahren». Das in die Wand eingelassene Weinert-Zitat «Den Gedanken Licht – Den Herzen Feuer – Den Fäusten Kraft» wurde vom Grafiker Klaus Wittkugel gestaltet.
Während am früheren Wohnhaus in der Künstlerkolonie Friedenau (Kreuznacher Straße 34) eine 2009 angebrachte Berliner Gedenktafel an den früheren Bewohner, u.a. mit dem Text «Politischer Satiriker, Zeitdichter, Essayist. Antifaschist, geliebt und verfolgt. Exil Frankreich und Sowjetunion, Spanienkämpfer, Präsident des Nationalkomitees ‹Freies Deutschland›, Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste» erinnert wird, verfällt die Anlage in Pankow. Sie bedarf einer Renovierung und zeitgemäßen historisch-kritischen Erläuterung.