«Jene sieben Jahrzehnte, die Max Lingner durchlebte, fielen zudem in eine Epoche gewaltiger geistiger und sozialer Umwälzungen; eine Zeit, die es den Künstlern nicht allein schwer machte, den wahren Fortschritt in Kunst und Gesellschaft zu erkennen, sonder die ihrer Entscheidung auch die Kosequenz abverlangte, selbst das Leben im Kampf um die Verwirklichung der gewonnenen Ideale zu wagen.» (Gertrud Heider, Max Lingner. Monographie, Leipzig 1979.)

Vom Abendakt zum Staatspreis

Kinder- und Studienjahre in Leipzig und Dresden
1888–1912

Am 17. November 1888 wird Carl Franz Max Lingner als fünftes Kind des Holzstechers Maximilian Lingner (1851–1928) und seiner zweiten Ehefrau Pauline (1862–1940) in Leipzig geboren. Auf Anraten des Vaters und des befreundeten Künstlers Max Klinger kann er mit 16 Jahren den Abendakt an der Leipziger Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe besuchen.
Nach dem Abitur erhält Lingner ein Stipendium der Stadt Leipzig für ein Studium der Malerei an der Dresdener Kunstakademie bei Professor Carl Bantzer. Seinen Lehrer schätzt Lingner als einen der besten spätimpressionistischen Realisten seiner Zeit. Auch die Stadt begeistert ihn, er besucht Ausstellungen moderner Kunst und lässt sich von Werken Ferdinand Hodlers und Hans von Marées inspirieren.

Soldat, Bauer und Porträtmaler

Unruhige Jahre in Deutschland
1913–1928

Im Dezember 1913 heiratet Lingner Lisa Arsand (1882–1951), die Tochter eines Weißenfelser Schuhfabrikanten. Gemeinsam reisen sie nach Paris, London, Brügge, Brüssel und Amsterdam. Im März 1914 beendet Lingner sein Studium an der Dresdener Kunstakademie und erhält nur wenige Monate später die Einberufung zum Kriegsdienst. Über seine Zeit als Soldat im ersten Weltkrieg ist wenig bekannt, er ist in der Infanterie und bei den Seefliegern stationiert und nimmt nach eigener Aussage im November 1918 am Matrosenaufstand in Kiel teil.
Nach der Demobilisierung lassen sich Max und Lisa Lingner Anfang 1919 an der Ostsee nieder, wo Lisa in Born auf dem Darß ein Haus gekauft hat. Lingner versucht, sein künstlerisches Schaffen mit dem Leben eines Bauern zu verbinden, was ihm aber nicht gelingen will. Das Ehepaar entschließt sich darum im Frühjahr 1922, den Hof aufzugeben und nach Weißenfels zu ziehen.
Hier nimmt Lingner Auftragsarbeiten an, malt Portraits und Genrebilder. Durch die Nachbarschaft zu den Leunawerken setzt er sich zudem mit den sozialen Problemen der Zeit auseinander. 1927 entsteht die Lithographie-Serie Arbeiterliebe, die Lingner an Käthe Kollwitz schickt und von ihr Lob und Ermutigung bekommt, nach Paris zu ziehen.

Pressezeichnung versus Malerei

Ein intensives Jahrzehnt in Paris
1929–1939

Zu Beginn des Jahres 1929 brechen Lisa und Max Lingner nach Paris auf, wo sie erst im Künstlerviertel Montparnasse leben und dann eine Wohnung mit Atelier am Bois de Boulogne mieten können. Durch den kommunistischen Schriftsteller Henri Barbusse kommt Lingner in Kontakt mit dem linksintellektuellen Kreis um die Wochenzeitung MONDE. Barbusse veröffentlicht die Lithografie Arbeiterliebe am 27. September 1930 auf dem Titelblatt von MONDE. In den folgenden Jahren gestaltet Lingner nicht nur über 30 Titelblätter, sondern ebenso Innenseiten und verantwortet den Umbruch der Wochenzeitung. 1936 wird er Mitarbeiter der Tageszeitung l’Humanité und damit zur täglichen Zeichnung «verurteilt». Seine Signatur ling entwickelt sich zu einem Markenzeichen.
Auch als Maler kann sich Lingner in Paris behaupten: 1933 und 1939 bekommt er in der von Pierre Vorms geleiteten Galerie Billiet Einzelausstellungen, er ist an großen Gruppen-Ausstellungen beteiligt und das Museum Jeu de Paume sowie der französische Staat kaufen jeweils ein Gemälde an.
Lingner wird Mitglied der Französischen Kommunistischen Partei und Gründungsmitglied des Deutschen Künstlerbundes in Paris.

Internierung, Résistance, Befreiung

Eine Odyssee durch Frankreich
1940–1948

Am Tag vor Ausbruch des II. Weltkrieges wird Lingner verhaftet. Seine Frau Lisa ist schwer erkrankt und bereits seit 1935 in Psychiatrischen Klinik in Villejuif untergebracht. Lingner wird vom Pariser Stadion Roland Garros aus in mehreren Lagern in Frankreich interniert: Zuerst in Villerbon und  Cépoy, dann im Süden in Les Milles und St. Nicolas, und ab Oktober 1940 in Gurs, nahe der spanischen Grenze. Hier arbeitet er als Zeichenlehrer bei der «Schweizer Hilfe», kann selbst viel zeichnen und nach einem Jahr im 800 km entfernten Chansaye bei Lyon unterkommen, wo der katholische Priester Abbé Glasberg ein Aufnahmezentrum eingerichtet hat.
Lingner nimmt Kontakt zur Résistance-Bewegung auf, erhält einen falschen französischen Ausweis und wechselt im Dezember 1943 in ein anderes Heim von Glasberg nach Cazaubon in den Pyrenäen. Er leitet Nachrichten der Résistance weiter und befreit sich dank seiner guten Sprachkenntnisse immer wieder aus gefährlichen Situationen.
Im Oktober 1944 kann Lingner nach Paris zurückkehren. Obwohl er sehr geschwächt und krank ist, nimmt er seine Arbeit als Pressezeichner bei l’Humanité und auch seine Ausstellungsaktivitäten wieder auf. Er malt erneut großformatige Dekorationen für die Pressefeste der Zeitung und verkauft ein Gemälde an die Stadt Paris.

Berlin — Hauptstadt der DDR

Rückkehr und ambivalentes Spätwerk
1949–1959

Lingner entscheidet sich, nach Deutschland zurückzukehren und übersiedelt im März 1949 nach Ost-Berlin. «Dem deutschen Volk» schenkt er vierzig Gemälde und Zeichnungen aus den Jahren 1929 bis 1949, die in einer Wanderausstellung gezeigt werden und heute den Staatlichen Museen zu Berlin gehören. Lingner wird Professor für Malerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Mitglied der Akademie der Künste und bezieht zusammen mit seiner zweiten Frau, der Juristin Dr. Erika Hoffmeier (1914–1997), ein Haus mit Atelier in Niederschönhausen.
Sein größter Auftrag ist ein Wandbild für das Haus der Ministerien. Bei der Ausführung muss er schmerzlich erfahren, wie ihn als West-Emigranten die Formalismus-Kampagne trifft, denn Ministerpräsident Otto Grotewohl fordert eine Überarbeitung der zahlreichen Entwürfe zugunsten der erwünschten politischen Botschaft. Lingner beginnt noch einen Gemälde-Zyklus zur Geschichte des deutschen Volkes, veröffentlicht seine Autobiographie und wird 1958 mit der Ausstellung «Max Lingner 70 Jahre alt» in der Akademie der Künste zu Berlin geehrt.
Am 14. März 1959 stirbt er und wird seinem Wunsch gemäß auf dem Friedhof in Niederschönhausen beigesetzt.