Werk

«Darsteller des Pariser Arbeiters konnte Lingner nur werden, weil er ein Maître de la réalité ist, Wirklichkeitsbeobachter, Wirklichkeitsfanatiker, versessen darauf, festzuhalten, was ist. Das gibt auch seinen Bildern Halt, sie sind gestaltetes Leben, sie haben Elan, ohne falsches Pathos. (Paul Westheim, Artikel zur Max-Lingner-Ausstellung 1939 in Paris; Pariser Tageszeitung, 3.5.1939)

 

Gemälde

Das früheste erhaltene Gemälde Lingners ist eine Flusslandschaft aus dem Jahr 1904, da war er 16 Jahr alt. Seine letzten beiden Gemälde malte er 1958, ein Jahr vor seinem Tod: Fünf singende junge Frauen (Das Volkslied) und die Industrielandschaft Rummelsburg. Für Lingner war die Malerei, das Malen mit Öl- und Temperafarben auf Leinwand, sein Leben lang von großer Wichtigkeit, er malte in allen Lebensphasen und setzte sich dabei oft mit ähnlichen Motiven und Kompositionen auseinander: anfangs waren es vor allem Stillleben, Porträts, Landschaften und Gruppen junger Frauen, in Frankreich wurden dann Frauenfiguren, Arbeiter und ihre Familien sowie Stadtansichten von Paris immer wichtiger. In den 1950er Jahren nahm er sich vor, einen Zyklus zur deutschen Geschichte zu malen. Von den geplanten Historienbildern konnte er jedoch nur das zum Bauernkrieg von 1525 beenden.
Zu seinen bekanntesten Bildern gehört Mademoiselle Yvonne aus dem Jahr 1939, das er zusammen mit 19 weiteren Gemälden und 20 Papierarbeiten 1949 dem deutschen Volk geschenkt hat.

Wandbehänge, Festdekorationen, Wandbilder

Das große Format hat Lingner zuerst mit Unterstützung seiner Frau Lisa in Paris angewandt. Mit Textilfarbe auf Seide malte er 1929 verschiedene Motive mit tanzenden Mädchen oder jungen Liebespaaren. Auch in seiner Pariser Atelierwohnung hing wahrscheinlich solch ein Wandbehang, der um die 2 × 3 Meter groß sein konnte.
In den 1930er Jahren gestaltete Lingner ganze Wände, etwa für den Friedenspavillon der Pariser Weltausstellung. Eine Besonderheit waren zudem seine riesigen, weithin sichtbaren Dekorationen für die legendären Pressefeste der kommunistischen Tageszeitung l’Humanité in Vincennes. Dabei waren weder Losungen noch Politikerporträts zu sehen, sondern meist eine Arbeiterfamilie aus Mutter, Vater, Kind und fröhlich gestimmte Demonstrant*innen.
Diese Motive verwendete er nach seiner Rückkehr nach Deutschland auch für Festdekorationen in den Straßen von Ost-Berlin und sie finden sich ebenso im Wandbild am Haus der Ministerien an der Leipziger Straße wieder. Nur hatten sie hier nach mehrfacher, politisch geforderter Überarbeitung alle französische Leichtigkeit verloren.

Zeichnungen

Lingner verstand die Zeichnung nicht ausschließlich als Vorarbeit für seine Gemälde oder Wandbilder, sondern er nutzte sie oft als selbständiges Medium. Bei den farbigen Arbeiten bediente er sich bevorzugt der Gouache. Die wasserlöslichen Farben sind einfach zu handhaben und erscheinen erdig und matt, wenn sie deckend vermalt werden. Für die klassische Zeichnung schwarz auf weiß arbeitete Lingner mit Feder und Pinsel in Tusche.
Seine Motive fand er sowohl in der Großstadt, als auch in den Vororten und kleineren Städten. Dabei zeichnete er Straßenzüge, Plätze und Industriegebiete, aber sein größtes Interesse galt immer den Menschen: Es sind sich frontal auf den Betrachter zu oder sich über die Bildfläche bewegende Personen, diskutierende Gruppen, Arbeiter, Bauern, Studenten und vor allem junge Frauen und Mädchen, Mutter-Kind- und Familiendarstellungen. Er findet stimmige Konstellationen, die er oft wiederholt und dabei nur leicht verändert. Seine realistische Darstellungsweise ist von Ausschnitthaftigkeit und Lebendigkeit geprägt.

Pressezeichnung

Zum Pressezeichner wurde Lingner in Frankreich. Für die Wochenzeitung MONDE hat er zahlreiche Titelblätter und einige Doppelseiten gestaltet, aber auch zum Inhalt der Artikel passende Szenen gezeichnet. Dazu nutzte er kräftige Pinselstriche und geschlossene Flächen, um starke Kontraste zu erzielen. Mit seinem MONDE-Alphabet hat er zudem jedem Buchstaben ein festes Motiv zugeordnet und diesen an den Anfang der Texte gesetzt.
Bei der Tageszeitung l’Humanité wurde Lingner dann zu einem «zur täglichen Zeichnung Verurteilten». Seine Arbeitsweise passte sich dem Pensum und der politischen Aussagekraft an. Charakteristisch für seinen Stil wurde eine lebhafte, durch schmale Linien und feine Abstufungen von grau bis schwarz nuancierte Anlage der Zeichnungen. Die Motive wiederholten sich, wurden neu zusammengesetzt, immer wieder angepasst. Die Szenen waren eindeutig in ihrer Aussage, leicht verständlich und von einem hohen Wiedererkennungswert. Seine Signatur «ling» entwickelte sich im Laufe der Jahre für die Leserschaft zu einer Marke.

Illustrationen und Buchentwürfe

Lingner hatte Freude daran, mit seinen Zeichnungen Mappen zusammenzustellen, Literatur zu illustrieren oder ganze Bücher zu gestalten. In Frankreich entwarf er ein Buch mit Zeichnungen und Text für das Märchen Vom Fischer und seiner Frau, ein Buch mit der Geschichte Der Ziegenhirt, wobei der Text hier von Henri Barbusse stammte, und eine Bild-Text-Broschüre zur Internationale von Eugène Pottier.
Für die Tageszeitung l’Humanité illustrierte er mehrere Fortsetzungsromane französischer Klassiker und eroberte sich damit ein großes Lesepublikum: Neben Die Königin Margot und Der Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas und der Geschichte von Tyll Ulenspiegel von Charles de Coster zeichnete er auch prägnante Szenen für 1793 von Victor Hugo.
Diese Tätigkeit der Literaturillustration setzte Lingner in der DDR fort. Hervorzuheben sind hier seine Darstellungen für die Russischen Meistererzählungen und für Paul Tillards Nacht über Paris. Die deutsche Version von Dumas‘ Königin Margot war so erfolgreich, dass sechs Auflagen gedruckt wurden.

Druckgrafik

Für die klassischen druckgrafischen Techniken wie Holzschnitt und Lithografie interessierte sich Lingner nur bedingt. Er setzte sie vor allem ein, um Ex Libris, Glückwunsch- oder Visitenkarten anzufertigen. 1914 beteiligte er sich mit drei Lithografien an der Dresdner Kriegsmappe und 1924 druckte er eine Folge von drei Gruppenmotiven. Eine Ausnahme gab es aber: Die Druckgrafik-Serie Liebespaar spielte eine wichtige Rolle in seiner künstlerischen Entwicklung. Die 1926/27 entstandenen vier Steindrucke gefielen der von ihm verehrten Künstlerin Käthe Kollwitz ebenso wie dem französischen Schriftsteller Henri Barbusse. Kollwitz mochte jenes Blatt am liebsten wo das Mädchen etwas bekleidet ist und sich das küssende Profil des Mannes gegen ihren Kopf absetzt.» Barbusse bildete das gleiche Motiv 1930 auf dem Titelblatt seiner Zeitschrift MONDE ab.

Plastik

Plastiken sind eine absolute Ausnahme im künstlerischen Schaffen von Lingner. Nur Mitte der 1920er Jahre hat er in Weißenfels drei kleine Plastiken geschaffen: einen Torso eines weiblichen Aktes, einen stehenden weiblichen Akt mit ausgestreckten Händen und einen knieenden weiblichen Akt, der den Titel Der Kuss trägt. Die 15 bis 37 cm hohen Figuren wurden in Messing oder Bronze gegossen. Vom Kuss hat sich eine Gipsform erhalten.